Lesetipp: Kondziela: Staatsanwälte als Erfüllungsgehilfen der Musik- und Pornoindustrie? – Akteneinsicht in Filesharing-Verfahren, MMR 2009, 295

Andreas Kondziela, Oberstaatsanwalt in Darmstadt, hat in der MMR (2009, Heft 5, S. 295 ff.) einen Aufsatz zur Abwägung im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e StPO mit dem Titel „Staatsanwälte als Erfüllungsgehilfen der Musik- und Pornoindustrie? – Akteneinsicht in Filesharing-Verfahren“ veröffentlicht.

Der Aufsatz stellt das Akteneinsichtsrecht in sehr guter, umfassender Form dar (dazu s. auch schon Gietl/Mantz, CR 2008, 610, 613 ff.). Besonders gelungen sind die Ausführungen zur notwendigen Interessenabwägung, die leider einige Gerichte nicht oder nicht mit der gebotenen Sorgfalt vornehmen.
Der Autor geht dabei ausführlich auf die widerstreitenden Rechte der Beteiligten ein. Dabei streiten nach Ansicht Kondzielas auf Seiten der Rechteinhaber Art. 14 (Eigentum), 12 (Berufsfreiheit) und 2 I GG (allgemeine Handlungsfreiheit). Diese sieht er aber vorliegend als weitgehend nicht anwendbar an. Von daher seien nur zivilrechtliche Ansprüche (insbesondere nach den Grundsätzen der Störerhaftung) überhaupt ernsthaft in die Abwägung einzustellen.
Auf Seiten der Beschuldigten sieht Kondziela Art. 10 GG (Fernmeldegeheimnis) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m Art. 1 I GG.
Weiter geht Kondziela auf den maximal geringen Anfangsverdacht, den die Verwendung einer IP-Adresse und die von den Rechteinhabern und ihren beauftragten Unternehmen vorgelegten Unterlagen begründen.

In der Abwägung sieht Kondziela daher die Rechte des Beschuldigten als in aller Regel höher zu bewerten an:

„Da es [das Akteneinsichtsrecht] jedoch in erheblichem Umfang die Belange des Beschuldigten oder Dritter berührt, kann es nur nach umfassender Interessenabwägung gewährt werden. Dabei muss im Grundsatz von einem Widerstreit eines grundgesetzlich nicht geschützten Interesses an Akteneinsicht mit einer grundgesetzlich garantierten Position ausgegangen werden, woraus tendenziell und in der Regel ein Vorrang des verfassungsrechtlich verbürgten Rechts folgen dürfte, zumal die mit der Akteneinsicht verfolgten zivilrechtlichen Ansprüche aus Störerhaftung von durchaus zweifelhafter Natur sind.“

Kondziela nimmt im Rahmen seines Aufsatzes (u.a.) zu zwei weiteren wesentlichen Fragen Stellung:

1. Störerhaftung
Der Autor sieht insbesondere die Begründung der Störerhaftung sehr kritisch und bezieht sich auch auf das Urteil des OLG Frankfurt (s. dazu hier; außerdem Mantz/Gietl, MMR 2008, 606):

„Die gegenteilige Ansicht, wonach allein das Betreiben einer nicht hinreichend verschlüsselten WLAN-Verbindung die zivilrechtliche Störerhaftung auslösen soll, ist viel zu weitgehend und überschreitet die Grenzen der Zumutbarkeit. Das Benutzen eines WLAN-Anschlusses ist eine äußerlich neutrale Handlung, welche ohne Hinzutreten weiterer vorwerfbarer Umstände keine Haftung auslösen kann. Ansonsten könnte man mit der gleichen Begründung auch den Eigentümer eines Hammers, welcher unverschlossen im Werkzeugkasten aufbewahrt wird und durch Diebstahl abhanden kommt, woraufhin der Dieb damit eine Sachbeschädigung begeht, mit der Störerhaftung überziehen.“

2. IP-Adresse als Verkehrsdatum

Ferner geht der Autor auf den durch Art. 10 GG gewährten Schutz im Hinblick auf die IP-Adresse ein:

„Auskunftsersuchen an Access-Provider und die daraufhin mitgeteilten und in der Ermittlungsakte dokumentierten Angaben über die Person des Inhabers einer beim Filesharing verwendeten IP-Adresse greifen daher in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses ein. Soweit die Rechtsprechung insoweit gelegentlich anführt, dass der Anbieter von Musikdateien in einer sog. Internettauschbörse selbst die IP-Adresse preisgebe, ist Letzteres technisch bedingt und sicherlich nicht i.S.e. freiwilligen Entäußerung geschützter grund- und datenschutzrechtlicher Belange zu verstehen, sodass daraus keine Abschwächung des Grundrechtsschutzes abgeleitet werden kann. Bereits im Zusammenhang mit der Einführung der sog. Online-Durchsuchung ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass allein durch den Anschluss an das Internet kein Grundrechtsverzicht erfolgt. I.Ü. ist zweifelhaft, ob und inwieweit der Betroffene über den Grundrechtsschutz überhaupt disponieren kann.“

Insgesamt ein sehr lesenswerter Artikel, der die strafprozessuale Sicht verdeutlicht (, die sich wie der Autor zeigt gar nicht so sehr von der zivilrechtlichen Prüfung/Abwägung unterscheidet).

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